Juristen und Juristinnen, geht doch mal kellnern!


Juristen und Juristinnen, geht doch mal kellnern!

Es war 2016, ich war gerade aus der Kanzlei ausgeschieden und überlegte, welcher Schritt als nächster käme. Klar war für mich: fürs Erste kein Jura mehr. Irgendetwas ganz Anderes, das meinen Talenten und Interessen mehr entsprechen sollte. Noch hatte ich kein konkretes Ziel vor Augen, führte noch keine neuen Bewerbungsgespräche.

Da kam in mir, in dieser ruhigen, arbeitsfreien Zeit, ein lang gehegter Wunsch hoch, über den Du jetzt (ich bin mir fast sicher) die Augen rollen wirst:

Ich wollte Kellnern gehen.

In einem Café arbeiten. Etwas tun, bei dem ich körperlich voll im Einsatz sein würde. Gäste umsorgen. Kaffee zubereiten. Schmutzige Teller und Tassen wegräumen.

Zu meiner Studienzeit war ich nie Kellnerin. Ich saß immer, bereits im 1. Semester, in irgendwelchen Kanzleien. Deckte Konferenzräume ein, sortierte Gesetzestexte nach, räumte Abstellkammern auf, machte Ablage. Saß jahrelang am Empfang und ging ans Telefon. Ehrlicherweise kam mir nie die Idee etwas anderes zu tun. Im Jurastudium sollte man ja möglichst früh auch die Jura-Welt kennenlernen, oder? HAHA. Ich muss gerade selbst laut lachen. Das, was ich da nämlich in diesen Nebenjobs tat, hatte leider gar nichts mit der Jura-Welt zu tun, die ich dann später als Anwältin kennenlernen durfte.

Und jetzt, nach diesen vielen langen Jahren Jurastudium, Referendariat, Promotion und Kanzlei, war das Erste, worauf ich Lust hatte: ein Kellnerjob.

Glücklicherweise wohnte ich damals oberhalb eines sehr netten Cafés (für alle Münchner*innen: das Café Zimtzicke ist sehr zu empfehlen!), das ich zuvor schon oft als Gast besucht hatte.

Ich kannte die Inhaberin gut und deshalb fragte ich sie kurz nach meinem Einfall, ob ich nicht einmal einen Tag bei ihr mitarbeiten könne. Einfach so. Ohne Bezahlung. Eher so als Praktikumstag.

Ich glaube, sie war damals sehr überrascht, kannte sie mich doch in Hosenanzug und mit Aktentasche schnell einen Cappuccino trinken. Aber sie willigte ein und ich durfte kurze Zeit später für einen Tag bei ihr anheuern. Von morgens um 7:30 Uhr bis abends um 17:00 Uhr.

Ich durfte (vermutlich ungenießbare) Cappuccini herstellen, Tische abräumen, Bestellungen aufnehmen, in der Küche helfen, Abrechnung machen, mit Kund*innen Ratsch halten usw.).

Was ich an diesem einen Tag lernen durfte, waren vor allem folgende zwei Dinge:

1. Grundsätzlich LIEBE ich es, in einem Café zu arbeiten.

So Vieles daran macht mir große Freude. Der Geruch nach Kuchen und Kaffee. Das Team-Gefühl und das Erfolgserlebnis, wenn man gemeinsam im Café Kund*innen glücklich gemacht hat. Die körperliche Arbeit (ja!! Die körperliche und nicht die geistige Arbeit). Der Austausch und das Schwätzchen halten mit netten Kund*innen. Unter Menschen sein. Menschen Gutes tun. Lebensmittel verarbeiten und schön anrichten. Ich könnte jetzt hier noch ewig so weiter machen. Aber um auf den Punkt zu kommen: Ich konnte aus diesem einen Tag so viel für mich ziehen, was mir Rückschlüsse auf ein für mich ideales Arbeitsumfeld gab. All das half mir so sehr, als es dann später darum ging, wo ich wieder wirken wollte (nein, ich habe dann nicht ein Café eröffnet, obwohl das definitiv noch auf meiner “Bucket Liste” steht 😉).

2. Ich bin noch nie so herablassend behandelt worden wie an diesem einen Tag.

Ich selbst würde von mir behaupten, dass ich als Cafébesucherin wirklich ein tadelloses Auftreten habe. Ich bin immer freundlich zu Kellner*innen. Ich beschwere mich nur, wenn ich wirklich nicht zufrieden bin (und ich bin grundsätzlich nicht sehr anspruchsvoll). Und ich gebe gutes Trinkgeld.

Ich dachte, dass dieses Verhalten die meisten Menschen so ebenfalls an den Tag legen würden. Falsch gedacht.

Jetzt, wo ich erstmals auf der anderen Seite stand, Kellnerin und nicht mehr Gast war, erlebte ich, was sich viele Menschen in der Gastronomie herausnehmen. Wie überlegen sie sich geben und abwertend sie sind.

Spannend war auch, wie sehr mich dieses Verhalten getriggert hat. Mehrmals war ich versucht an diesem Tag zu entgegnen: ich bin promovierte Anwältin, benehmen Sie sich bitte ordentlich. Als ob ich als promovierte Anwältin eher ein Recht auf anständiges Verhalten hätte als jemand anders. Unglaublich.

Ich habe an diesem Tag lernen dürfen, was für ein unglaublich großes Ansehen wir Jurist*innen in unseren Jobs genießen dürfen im Gegenzug zu so vielen anderen Berufen wie zB in der Gastronomie. Wieviel Vertrauen uns entgegengebracht wird und wieviel Kompetenz wir bereits ausstrahlen, wenn wir nur erzählen, dass wir Jura studiert haben.

Mich hat das sehr demütig werden lassen.

Denn genau deshalb können wir alles mit Jura machen. Weil wir diesen Vertrauensvorschuss überall haben. Es hat mich anschließend mutiger werden lassen bei Jobbewerbungen, auch bei solchen, die gar nichts mit Jura zu tun hatten. Und NOCH freundlicher, wenn ich als Gast in einem Café sitze.